Rezension zu: "Weg in den Aufstand"
von Kerstin MarklofskyDatum hinzugefügt: Montag, 27. März 2017Rezension von Antje Reiche, Okt. 201425 Jahre nach der Wende haben wir es uns bequem gemacht in unserem Land mit Meinungsfreiheit, Demokratie und Reisen, wann und wohin das Herz begehrt. Nur die Älteren erinnern sich noch daran, dass es einmal anders war und welche Verhältnisse damals in der DDR den Alltag beherrschten. Wenn nun zum 25-jährigen Jubiläum über den Mauerfall berichtet wird, sehen wir meist nur die Bilder aus den Herbsttagen 89, als Hunderttausende auf die Straßen gingen. Wie langwierig und schwierig der Weg bis zu jenen Ereignissen jedoch war, davon wird seltener gesprochen. Mit der „Chronik zu Opposition und Widerstand in der DDR vom August 1987 bis zum Dezember 1989“, deren erster Band gerade erschienen ist, liegt nun eine umfangreiche Dokumentation vor, die den Weg von der Demonstration am 13. August 1987 an der Berliner Mauer bis zu jenen schicksalhaften Herbsttagen 1989 beschreibt. Taggenau und durch die zweispaltige Anordnung übersichtlich gegliedert, gibt sie einen Überblick über die Ereignisse jener Zeit. Die Autoren Thomas Rudolph, Oliver Kloss, Rainer Müller und Christoph Wonneberger waren damals selbst in kirchlichen Kreisen und verschiedenen oppositioneller Bürger- und Menschenrechtsgruppen aktiv. Sie greifen hauptsächlich auf Dokumente aus dem Archiv der Initiative Frieden und Menschenrechte Sachsen e.V. zurück und legen damit einen Schwerpunkt auf den Leipziger Raum. Jedoch spannt sich der Bogen der dokumentierten Ereignisse von der gesamten DDR über Osteuropa und die Sowjetunion bis zu westlichen Organisationen, Medien und den politischen Entwicklungen im deutsch-deutschen Verhältnis. Damit wird es dem Leser möglich, die Dokumente und beschriebenen Ereignisse besser in die politischen Zusammenhänge der damaligen Zeit einzuordnen und zu verstehen. Darüber hinaus werden in speziell gekennzeichneten Abschnitten erläuternde Bemerkungen zum Kontext oder aus heutiger Sicht eingeschoben. Zum Beispiel erfährt man so, wer von den handelnden Akteuren später als Informeller Mitarbeiter der Staatssicherheit enttarnt wurde.
Durch die Verwendung zahlreicher und vielfältiger Originaldokumente gibt das Buch einen eindrucksvollen Einblick in die Atmosphäre und Stimmungslage der damaligen Zeit. Während diejenigen, die dabei waren, vielleicht wieder die Beklemmungen und Sorgen spüren, die sie angesichts von Verhaftungsmeldungen aus der Mund-zu-Mund-Propaganda oder Westmedien empfanden, die Unruhe, die sie beschlich, wenn sie hörten, wer auch einen Ausreiseantrag gestellt hat, werden die, die nicht dabei waren, sich ein sehr gutes Bild davon machen, was die Akteure der verschiedenen Gruppen antrieb und umtrieb. Dabei werden sowohl die Verflechtungen zwischen den einzelnen Gruppen, als auch Konflikte zwischen ihnen sichtbar. Die beschwerliche, von vielen Diskussionen und Auseinandersetzungen geprägte Suche nach Wegen im Kampf um mehr Freiheit und Selbstbestimmung in einem demagogisch festgefahrenen Überwachungsstaat wird genau so gut nachvollziehbar, wie die Rolle der wachsenden Zahl der Ausreiseantragsteller.
Neben der Chronik zu den zeitgeschichtlichen Ereignissen bis zum 28.11.1988, einem Vorwort von Oliver Kloss und Rainer Müller und einer Zeittafel der wichtigsten Ereignisse enthält der erste Band eine ausführliche Darstellung der Tätigkeit des Arbeitskreises Gerechtigkeit und der Arbeitsgruppe Menschenrechte. Dabei wird der hohe Grad an Organisation und Planung deutlich, mit dem diese Gruppen arbeiteten und die oppositionellen Aktionen vorantrieben, aber auch der Mut und die Risikobereitschaft ihrer Mitglieder, die ständig mit Festnahmen rechnen mussten.
Mit diesem Buch ist nicht nur eine eindrucksvolle Dokumentation der Entwicklung der oppositionellen Bewegung in der DDR sowie der Ereignisse gelungen, die schließlich im November 1989 zum Fall der Mauer führten, sondern durch die erläuternden und ergänzenden Materialien und Texte ermöglicht es dem Leser, diese im geschichtlichen Kontext einzuordnen und zu verstehen. Somit ist es besonders auch für jene geeignet, die diese Zeit nicht unmittelbar miterlebt haben und erfahren wollen, wie der „Weg in den Aufstand“ verlief.
Bewertung: [5 von 5 Sternen!]