Gedichte
Von: Haller, Christian
Wolfbach, 2014, 72 S., engl. Broschur
ISBN: 9783905910469
18,00 €
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Unterm Schein der Lampe
sind heute Morgen
Bücher geschlüpft
Sie machen sich
über meine Seele
her wie Spatzen
Und wieder
habe ich versäumt
in die Hände zu klatschen
Rezension
von Silvia Hess
MIT GEDICHTEN AUS DER ZEIT FALLEN
In einer Zeit, da sich Infos und News in Pulsschlag-Manier eines Sprinters folgen, stemmen sich Gedichte gegen das Diktat der Hektik: Sie setzen auf Langsamkeit, auf Geduld. Und auf ein Leseabenteuer mit unsicherem Ausgang. Denn (gute) Gedichte sind keine Rätselaufgaben, die nach einigem Knobeln gelöst werden, sondern Geheimnisse. Christian Hallers neue Gedichte, gesammelt im Band „Laub vor dem Winter“, gehören aufs Schönste zu ihren Hütern. Liegt doch in seinen Zeilen ein unsichtbarer, nicht zerlegbarer Rest.
„So nah am Stamm / sind meine Blätter gefallen // schauen den winkenden / Flügeln des Reihers nach // der übers Wasser zieht / steif gestreckt die Beine // krampfhaft gekrümmt / der Hals // unterm nebelgrauen Gefieder / ein quälender Hunger“
Ist es ein Baum, der da spricht, ein Dichter, der seine noch weißen – oder vollgeschriebenen – Blätter müde sinken lässt? Fliegt der Reiher als Hoffnungsbote übers Wasser, unbeschwert vom Gewicht der Erde, nur mit immerzu „quälendem“ Suchtrieb belastet? Es bräuchte Mut, die Fragen zu beantworten – Unerschrockenheit, die nicht gefragt ist. Die Zeilen haben es nicht auf Beweise abgesehen, sie sind nicht einem Höhepunkt zugesteuert, sondern sind Metapher für den Lidschlag eines Augenblicks, für das Jetzt. Momente später könnte alles anders sein – und trotzdem wahr. Diesem schwebenden, schutzlosen Ort setzt sich das Gedicht aus, beschwert mit seinen wenigen Worten, ohne alle Phrasen – und allein. Als federgewichtiger Trost im monologischen Sprechen steht ihm lediglich seine eigene Wahrheit gegenüber. Und im allerbesten Fall Lesende, die innehalten, bereit, ein Gedicht lang aus der Zeit zu fallen.
Erstveröffentlicht in: Buchkultur 158 | Februar/März 2015