Roman
Von: Schmidt, Willi
Grundblick, 2007, 168 S., Kartoniert
ISBN: 978-3-9802133-5-6
15,90 €
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Hans beginnt eine Kochlehre 60 km von seinem Heimatort entfernt. Damit endet seine dörflich-behütete Kindheit. Er beginnt seinen neuen Lebensabschnitt mit Furcht und Neugier. Nach schwieriger Eingewöhnungszeit entwickeln sich rasch seine Fähigkeiten als Koch und sein Chef ist zufrieden mit ihm. Gleichzeitig wächst seine Sehnsucht. Mehr und mehr schafft er sich eine Traumwelt. Seine Lebenswirklichkeiten verschwimmen und werden immer gegensätzlicher. Als er daran zu zerbrechen droht, meldet sich eine Krankheit, die in ihm schlummerte: Epilepsie. Aus der Krankheit erwächst eine neue Stärke und er ist bald fähig eine Entscheidung zu treffen, die sein Leben radikal verändert.
Aus dem Inhalt:
- Prolog
- Kartoffelcremesuppe
- Fatma
- Karneval
- Gewitter
- Pfingstmontagsausflug
- Prüfungsmenü
- Herr Kallwin
- Epilog
Textauszüge:
Hans und Fatma gehen in den Wald, an einem Nachmittag im späten Sommer. Während ihrer Freistunden. Sie gehen den Berg hoch. Auf schmalen, frisch geteerten Straßen, vorbei an großen, neuen Häusern, hell gestrichen, mit sauberen Gärten und gefegten Höfen, aus denen manchmal Hunde hinter ihnen her bellen. Er sieht ihre braune Haut im Gesicht. Sie sieht seine schmalen, feingliedrigen Finger, die nicht so aussehen, als würde er jeden Tag damit schwer arbeiten. Sie atmen tief, weil es ihnen Mühe macht den Berg hoch, weil sie nicht wissen, wohin sie gehen. Die Häuser hören auf. Sie erreichen den Wald. Der Weg ist jetzt geschottert. Das Rauschen der fremden Stadt, unten im Tal, verschwindet. Sie treten in den Wald ein und werden von Stille empfangen. Es zwitschern keine Vögel. Am Wegrand wachsen dichte Gräser aus dunklem Grün. Bewegungslos stehen hohe schmale Fichten und kräftige Buchen beieinander. Sie wissen beide, dass es gleich ein Gewitter geben wird. Sie gehen weiter, schweigend und erwartungsvoll.
(...)
In der nächsten Doppelstunde haben sie Politik. Eine ältere Dame namens Blankenburg erklärt ihnen die Gefährlichkeit der Baader-Meinhof-Bande. Sofort sind ihnen die Plakate mit den vielen quadratischen Fotos wieder im Kopf. Und die rote Warnschrift. Allgegenwärtig hängen diese Plakate an allen amtlichen Stellen bis ins kleinste Dorf. Frau Blankenburg belehrt die Berufsschüler über die Bedrohung von Freiheit und Demokratie durch die Baader-Meinhof-Bande. Belehrt sie über die harte Hand des Staates, die notwendig ist, um diese Feinde unschädlich zu machen. Und dass dazu alle gefordert sind, mitzuhelfen. Wachsam zu sein, wer die Baader-Meinhof-Bande unterstützen könnte. Um die Sympathisanten (dieses Wort gräbt sich ein in Hans' Kopf) der harten Hand des Staates auszuliefern. Denn mit den Sympathisanten dringe man vor bis zum Kern und könne das Unkraut mit der Wurzel ausrotten (Hans erschrickt noch Jahre später bei dem Wort Sympathisant). Frau Blankenburgs scharfes Gesicht baut sich bedrohlich vor ihren Schülern auf, dass Hans fast ein wenig Mitleid bekommt mit der Baader-Meinhof-Bande, bei einer solchen Gegnerin. Und dann rezitiert sie mit gekonntem, vernichtendem Zischen das oberste Gesetz dieser Tage: Der Sympathisantensumpf muss trockengelegt werden. Unentwegt, ebenso allgegenwärtig wie die rotbeschrifteten Plakate mit den verzerrten Bösewichter-Gesichtern, wird dieser Satz verbreitet. Nachrichtensprecher, Lehrer, Stammtischler, Reporter, Eltern, Politiker - alle haben ihn tagtäglich auf den Lippen und Frau Blankenburg (wahrscheinlich alter ostpreußischer Adel, das "von" gestohlen durch die "Kommunisten"; "Kommunisten" war das Wort was jenem Satz folgte, als Ausrufezeichen hinterhergeschoben, alles Böse inklusive) und Frau Blankenburg rezitierte besonders gekonnt mit ihrem spannungsgeladenen Zischen.